Eines von sechs Paaren weltweit ist ungewollt kinderlos: Obwohl der Grund für den unerfüllten Kinderwunsch etwa zur Hälfte auf Seiten des Mannes liegt, ist über die Einflüsse von genetischen Faktoren und Umweltbedingungen auf die Produktion der Samenzellen und damit auch über die Ursachen der männlichen Infertilität wenig bekannt. Ein internationales und interdisziplinäres Autorenteam, darunter Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Andrologie e.V. (DGA), will das ändern und hat in einem Übersichtsartikel im Fachmagazin Nature Reviews Urology jüngst einen Aktionsplan vorgelegt, damit Regierungen und Medizinsachverständige die abnehmende männliche Fertilität als weitverbreitetes und gravierendes medizinisches und gesellschaftliches Problem erkennen und global Gegenmaßnahmen ergreifen.
Unter der Koordination der Reproduktionsforscherin Prof. Moira O´Bryan von der australischen Universität Melbourne analysierte das Team aus 26 führenden Expert:innen aus zehn Ländern anhand von 13 Fragen den derzeitigen Stand der Forschung. Ihr Bericht weist darauf hin, dass die andrologische Diagnostik bei unerfülltem Kinderwunsch oft stiefmütterlich behandelt wird. Ebenso gäbe es wenige Behandlungsoptionen aufgrund fehlender Forschungsmittel. Daraus leiten die Autor:innen, zu denen auch Prof. Dr. Stefan Schlatt vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Universität Münster, Prof. Dr. Frank Tüttelmann vom Institut für Reproduktionsgenetik der Universität Münster sowie Prof. Dr. Hermann Behre vom Kinderwunschzentrum des Universitätsklinikums Münster (UKM) gehören, ihren Aktionsplan ab. Sie fordern darin, dass weltweit Patientenproben und -daten gesammelt werden, um genetische und umweltbedingte Ursachen der männlichen Infertilität erforschen zu können und neue diagnostische Verfahren zu etablieren. Auch sollten Risikofaktoren für die männliche Infertilität erkannt und durch Aufklärungskampagnen minimiert werden.
Anstatt die individuellen Ursachen zu behandeln, würde auf medizinisch unterstützte Fortpflanzung zurückgegriffen. Die Wissenschaftler:innnen appellieren deshalb zudem, die Wiederherstellung der Fruchtbarkeit zu fördern und die am wenigsten invasive Strategie der medizinisch unterstützten Fortpflanzung anzuwenden. „Wir fordern darüber hinaus – auch aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit – eine intensivierte Forschung zur Abklärung von Risiken bei der Anwendung assistierter Fertilisationstechniken und zur Entwicklung verhütender Methoden auf Seiten des Mannes“, so Prof. Stefan Schlatt auf der Website der Universität Münster.
Originalveröffentlichung
Kimmins, S., Anderson, R.A., Barratt, C.L.R. et al. (2023): Frequency, morbidity and equity — the case for increased research on male fertility. Nat Rev Urol; DOI: 10.1038/s41585-023-00820-4